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Nulltarif

Beim Nulltarif handelt es sich um eine oft politisch motivierte Forderung nach einem für die Nutzer kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Damit soll es möglich sein, Zugangsbarrieren für ÖPNV-Nichtnutzer abzubauen, den Autoverkehr auf den ÖPNV zu verlagern und durch den Wegfall von Vertriebs- und Kontrollaufgaben Kosten zu sparen.
Bei den Konzepten zum Nulltarif muss unterschieden werden, wer letztlich für die entstehenden Kosten aufkommt. Es ist grundsätzlich zwischen steuerfinanziertem Nulltarif und beitragsfinanziertem „Nulltarif“ zu unterscheiden.

Beim steuerfinanzierten Nulltarif erfolgt die ÖPNV-Finanzierung durch kommunale Haushaltsmittel. Dem Einzelnutzer entstehen keine direkten Kosten, sondern nur indirekt über Steuerzahlungen. Wenn bisherige verkehrspolitische Maßnahmen nur ein mangelhaftes ÖPNV-Angebot mit wenigen Fahrgästen und niedriger Kostendeckung erreicht haben, kann der steuerfinanzierte Nulltarif ein geeignetes Mittel für einen Neuanfang im ÖPNV sein. Vorrangig ist dies in Klein- und Mittelstädten der Fall. In Großstädten und in Ballungsräumen, die bereits einen hohen ÖPNV-Anteil haben und eine hohe Kostendeckung aufweisen, würde den Verkehrsunternehmen mit dem steuerfinanzierten Nulltarif die wichtige Finanzierungssäule der Fahrgeldeinnahmen komplett wegbrechen. Eine Ausweitung des ÖPNV-Angebots um weitere Fahrgastzuwächse zu erreichen, wäre nicht mehr finanzierbar. Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass vollständig steuerfinanzierter ÖPNV gegenüber dem Fuß- und Radverkehr relativ zu billig ist und zu einer überproportionalen Verlagerung innerhalb des Umweltverbunds zum ÖPNV führt. Gleichzeitig werden verkehrserzeugende Raumstrukturen begünstigt und es bestehen nur geringe Anreize zur Verkehrsvermeidung. Da beim steuerfinanzierten Nulltarif für die Fahrgäste der Kundenstatus verloren geht, fehlt den Verkehrsunternehmen der Leistungsanreiz zur Qualitätssteigerung.

Beim beitragsfinanzierten Nulltarif zahlen die Mitglieder einer abgegrenzten Zielgruppe solidarisch und unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des ÖPNV-Angebots. Die Fahrausweise werden durch die Kollektivierung der Kosten im Umlageverfahren deutlich günstiger. Für den beitragsfinanzierten Nulltarif gibt es in Deutschland mit Semester-Tickets, Job-Tickets, Mietertickets oder Gästetickets bereits zahlreiche praktische Anwendungsfälle. Das Bürgerticket ist eine weitere Möglichkeit für beitragsfinanzierten Nulltarif. Bei dieser Form der Nahverkehrsabgabe finanzieren alle Bürger einer Kommune den ÖPNV und haben dadurch Anspruch auf eine ÖPNV-Grundversorgung. Die Abgabe könnte auch als Erschließungsbeitrag ausgestaltet werden und bisherige Nutznießer an der ÖPNV-Finanzierung beteiligen. Das beitragsfinanzierte Bürgerticket könnte zukünftig ein kommunales Instrument zur ÖPNV-Finanzierung werden und die kommunalen Haushalte entlasten. Da die individuellen Geldgeber die bezahlte Leistung auch nutzen wollen, sind beim Bürgerticket größere Verlagerungseffekte als beim steuerfinanzierten Nulltarif zu erwarten. Vorab sind allerdings rechtliche Fragestellungen zu klären und es bedarf politischen Umsetzungswillens.

Beispiele für ÖPNV zum „Nulltarif“ gibt es in Deutschland bislang vorrangig als Schnupperangebote, zum Beispiel in Tübingen, als Tauschaktion Führerschein gegen kostenlose ÖPNV-Tickets oder als Paten-Ticket.

Weiterführende Literatur

Technische Universität Darmstadt: Drittnutzerfinanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs, Darmstadt, Mai 2012.